Siglinde Bolbecher (18. Juni 1952 – 6. Juli 2012)
Am 6. Juli 2012 ist Siglinde Bolbecher nach kurzer schwerer Krankheit gestorben.
Siglinde Bolbecher hat in den frühen 1980er-Jahren die „Theodor Kramer Gesellschaft“ und den „Verein zur Förderung und Erforschung der Antifaschistischen Literatur“ mitbegründet und Jahrzehnte lang, bis zuletzt, die Geschicke dieser beiden Organisation gelenkt. Außerdem war sie eine Zeit lang Mitarbeiterin des „Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes“ und hat an der „Bundesakademie für Sozialarbeit“ in Wien gelehrt.
Siglinde Bolbecher hat zusammen mit ihrem Mann Konstantin Kaiser das „Lexikon der österreichischen Exilliteratur“, 29 Jahrgänge der Zeitschrift „Zwischenwelt“, vormals „Mit der Ziehharmonika“, und die „Buchreihe antifaschistische Literatur und Exilliteratur – Studien und Texte“ herausgegeben. Von Anfang an war es ihr ein zentrales Anliegen gewesen, dass den Autorinnen genauso viel Aufmerksamkeit erteilt wird wie den Autoren. So entstanden Arbeiten zu und mit Stella Kadmon, Elisabeth Freundlich, Stella Rotenberg, Grete Oplatek, Eva Kollisch, T. Scarlett Epstein… Außerdem hat sie zahlreiche Ausstellungen und Symposien zur Literatur von Frauen im Exil und zum Frauen- und Männerbild im Nationalsozialismus organisiert. Seit 2002 hat sie die Frauen-Arbeitsgemeinschaft in der „Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung“ geleitet.
Noch im März 2012 ist Siglinde Bolbecher von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer für ihre Arbeit und dafür, „wesentlich zur Erforschung und Verbreitung österreichischer Exilliteratur beigetragen“ zu haben, mit dem „Goldenen Ehrenzeichen für besondere Verdienste um die Republik Österreich“ ausgezeichnet worden.
Ich kannte Siglinde seit 1993. Ihr Tod hat mich erschüttert. Ich habe eine gute Freundin verloren. Mein Mitgefühl gilt ihrem Mann – meinem lieben Freund und Kollegen Konstantin Kaiser – und der Tochter Olivia.
Für Siglinde:
Es gibt Menschen, die von der Energie anderer leben, es gibt welche, die immer eine neutrale Distanz wahren, und es gibt Menschen, die andere wie selbstverständlich an ihrer Energie teilhaben lassen, die ihre eigenen positiven Gefühle ohne große Gesten weiterreichen: das sind Menschen, die sich selbst verschenken, weil sie das als ihre Aufgabe ansehen oder einfach nicht anders können. Siglinde war ein solcher Mensch. Nach jedem Treffen mit ihr fühlte ich mich stärker, besser, und auch ihre kritischen Bemerkungen, stets hintergründig und humorvoll vorgetragen, erlebte ich als eine Bestätigung, als Kraftspender bei dem, was ich plante oder tat, als Wegweiser oder als Fährtenleger, je nachdem…
Nicht nur ich, sondern alle, die Siglinde kannten, schätzen die Augenblicke, wenn der Schalk in ihren Augen aufblitzte und in einem Scherz, so bitter er manchmal auch sein mochte, ihre Warmherzigkeit erkennbar wurde. Siglindes Humor hatte einen besonderen Charme. Man konnte mit ihr wunderbar „Schmäh führen“ – und das mit Esprit, auf eine Art und Weise, die stets treffend und niveauvoll war und niemals Gefahr lief, beliebig zu werden…
Was ich an Siglinde ganz besonders schätzte?
Ihr Engagement, ihre Haltung, ihr positives Menschenbild, ihren Glauben an die Macht des Wortes und der Tat, ihre Verachtung für die hierzulande so populäre Ideologie der Resignation und des Zynismus – die Vorstellung, jegliche Änderung zum Besseren sei Illusion und jegliche Hoffnung auf Änderung Naivität. Siglindes „Naivität“ war mir tausendmal lieber als die abgeklärte Distanziertheit anderer.
Wofür ich Siglinde ganz besonders bewunderte?
Für die Art und Weise wie sie die vielen Rollen und Aufgaben ihres Lebens meisterte und zu verbinden wusste, wie sie Mehrfachbelastungen, Enttäuschungen und Niederlagen ertrug, ohne zu verzagen oder gar aufzugeben, und wie sie sich bis zuletzt jeder neuen Aufgabe mit beinahe jugendlichem Elan und vollem Einsatz hingab…
Was Siglinde außergewöhnlich macht?
Sie gehört zu den wenigen Menschen, von denen man – ohne sogleich ein relativierendes „Andererseits“ anfügen zu müssen – sagen kann, sie haben dazu beigetragen, dass die Welt, in der wir leben, zum Zeitpunkt ihres Todes ein etwas besserer Ort geworden ist, als er zum Zeitpunkt ihrer Geburt gewesen war. Dies mag nur einen bestimmten Bereich, einen Teil dieser Welt betreffen, doch die Auswirkungen des erwähnten Beitrags haben Positives und Nachhaltiges bewirkt. Siglinde hat mitgeholfen, die Verhältnisse zu ändern, damit ein besseres Miteinander möglich wird…
Liebe Siglinde, Dein Tod hat mich erschüttert, ich vermisse Dich, und doch weiß ich, dass Du mich und andere, denen Du wichtig warst, weiterhin begleiten, dass Du präsent bleiben und uns Kraft geben wirst, so wie all jene, die von uns gegangen sind und uns teuer waren, eigentlich gegenwärtig bleiben, weil sie in uns selbst für immer einen Platz gefunden haben…