20.05.2023: Meine Mail an den Landeshauptmann von Salzburg Dr. Wilfried Haslauer
Sehr geehrter Herr Landeshauptmann!
Sie erinnern sich vielleicht an die anregende Unterhaltung, die wir vor einiger Zeit geführt haben. Ich hatte mich über Ihre Einladung zum Kaffee zu Ihnen in den Chiemseehof gefreut, habe das Gespräch mit Ihnen als sehr spannend, informativ und in vielerlei Hinsicht als erhellend erlebt, und auch wenn wir bei einigen Themen unterschiedlicher Meinung waren, so habe ich Sie als persönlich integren, humanistisch denkenden, sozial engagierten Demokraten wahrgenommen, dem – so wie mir – menschenverachtendes Gedankengut fremd und zuwider ist. Umso überraschender, verstörender und letztlich enttäuschender war es für mich, als Sie nach der Landtagswahl ausgerechnet mit der Freiheitlichen Partei in Koalitionsverhandlungen eingetreten sind. Ich hatte dazu bis jetzt geschwiegen, weil ich immer noch hoffte, es gehe dabei um politische Taktik, und Sie meinten es mit dieser Koalition nicht wirklich ernst. Dass ich mich geirrt habe, dass Sie diese Koalition, wie es scheint, tatsächlich einzugehen bereit sind, entsetzt und ängstigt mich sehr.
Nun bin ich natürlich längst nicht der Erste, der Sie für diese Entscheidung kritisiert. Ich will hier auch nicht näher ausführen, warum die FPÖ rechtsradikal ist, wie sie polarisiert, wie sie Hass gegen Fremde, Zuwanderer, Geflüchtete und Minderheiten schürt, wie sie immer wieder in Korruptionsaffären verwickelt war und welch derber Sprache sich einige ihrer Spitzenvertreter, allen voran FPÖ-Obmann Herbert Kickl selbst, bedienen. Das alles wissen Sie so gut wie ich und wie alle anderen, die nicht bewusst wegschauen möchten.
Ich kann mir denken, dass Sie Kickls Sprüche sowie die einiger seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter genauso abstoßend finden wie ich. Und Sie werden sicher verstehen, dass ich eine Partei, deren einzelne Mitglieder sich immer wieder mit rechtsradikalen, NS-verharmlosenden, fremdenfeindlichen, manchesmal auch antisemitischen Aussagen hervortun als bedrohlich erlebe. Wie soll ich mich als Zuwanderer und als Jude in meinem Heimatland, in Österreich, wohlfühlen, wenn Aussagen wie jene von Kickl, Waldhäusl oder Landbauer hingenommen und deren Partei dafür zudem noch scheinbar belohnt, also mit Machtbefugnissen ausgestattet wird? Hinzu kommt, dass zahlreiche FPÖ-Funktionärinnen und Funktionäre schon in dritter oder vierter Generation dem sogenannten „Dritten Lager“ angehören – mit Eltern, Großeltern und Urgroßeltern, die im antisemitischen Burschenschaftlermilieu groß geworden sind, bei der NSDAP und/oder der SS oder anderen kriminellen Nazi-Organisationen Mitglieder waren, vielleicht sogar in Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwickelt waren und diese Verbrechen niemals bereut oder aufgearbeitet haben. Gewiss: Viele Nachkommen der Täterinnen und Täter von gestern haben diesem Milieu und der menschenverachtenden Ideologie den Rücken gekehrt. Jene, die es nicht taten, sind heute oft bei der FPÖ zu finden. Zu wissen, dass einige direkte Vorfahren der heutigen Hetzerinnen und Hetzer von der FPÖ mich selbst in diesem Land allein wegen meiner jüdischen Herkunft umgebracht hätten, wenn ich nur etwas mehr als zwei Jahrzehnte früher auf die Welt gekommen wäre, macht für mich die Sache noch um einiges schlimmer, lässt sie bedrohlich erscheinen.
Dem allem werden Sie wahrscheinlich mit dem altbekannten Argument entgegnen, man solle Politikerinnen und Politiker in erster Linie an ihren Taten messen, und es gehe in Salzburg um Lokalpolitik. Außerdem sagten Sie vor einigen Tagen in einem Interview: „Es ist alles nicht einfach, ich würde es nicht überbewerten, wer in der Landesregierung sitzt.“ Nun ja, wenn es eh nicht so wichtig ist, wer in der Landesregierung sitzt, könnte man sie vielleicht gleich auflösen. Oder durch höhere Beamtinnen und Beamte ersetzen … Aber gut, ich nehme Sie beim Wort: Vielleicht ist es in der Tat gar nicht so wichtig, welche Personen in der Landesregierung sitzen, denn allein schon die Symbolik, dass es sich um Vertreterinnen und Vertreter der FPÖ handelt, wäre ein gefährliches Signal für ganz Österreich und auch weit über unsere Grenzen hinaus. Nun mögen Sie einwenden, dass die Salzburger FPÖ-Politikerinnen und Politiker kultivierter auftreten als die Herrn Kickl oder Waldhäusl, dass sie weder Kindern vorschreiben, in den Schulpausen ausschließlich Deutsch zu reden, noch Restaurants, in denen keine Salzburger Nockerln angeboten werden, die Förderungen streichen möchten. Frau Svazek wird wahrscheinlich auch nicht behaupten, wie es ihr Chef und Förderer Kickl getan hatte, Bundeskanzler Nehammer sei nach Afrika gereist, weil es in Österreich „zu wenige Schwarze“ gäbe, oder den Vorschlag machen, Pferdeurin gegen Klimaaktivistinnen und -aktivisten einzusetzen. Das ändert aber nichts daran, dass es sich bei Frau Svazek und der Salzburger FPÖ um Vertreterinnen und Vertreter einer Partei handelt, in der Derartiges gedacht und gesagt wird, wo Politik auf Bierzeltniveau gemacht wird, wo „Push backs“ gefordert werden und man für Menschenrechte offenbar nur Verachtung übrig hat.
Salzburg ist zudem nicht Ober- oder Niederösterreich. Die Stadt Salzburg ist eine international bekannte und anerkannte Kulturstadt. Was hier passiert, hat eine größere Breitenwirkung, wird sensibler wahrgenommen als anderswo und weltweit rezipiert, es hat eine entsprechende Breiten- und Vorbildwirkung. Rechtsradikale und Neonazis auf der ganzen Welt könnten nun in „ihr“ Salzburg pilgern oder es als Rechtfertigung oder Projektionsfläche für ihre Machenschaften missbrauchen. Kickl bezeichnete Viktor Orbán als sein Vorbild. Wer eine „Orbánisierung“ Österreichs anstrebt, hat wohl auch nichts gegen Einschränkung der Pressefreiheit, gegen die Bedrohung von Andersdenkenden sowie Journalistinnen und Journalisten oder gegen unfaire Wahlen. Wollen Sie einer Partei, die eine ideologische Nähe zum Orbán-Regime hat, politische Verantwortung übertragen? Wenn es dazu kommt, wird es, und davon bin ich überzeugt, bei den Festspielen und allen anderen Festivals in Salzburg zu Aktionen von Künstlerinnen und Künstlern gegen Schwarz-Blau kommen. Stadt und Land Salzburg werden, gerade aufgrund ihres internationalen Renommees, zu Symbolen für den Vormarsch der „Neuen Rechten“, der Orbán- und Putin-Versteherinnen und -versteher in Europa. Ich bezweifele sehr, dass Sie das glücklich machen wird, und dass Sie gerade als jener in die Geschichte eingehen möchten, der dies ermöglicht hat …
Auf drei Punkte möchte ich hier im besonderen Maße eingehen, Punkte, die mir persönlich sehr wichtig sind: Die FPÖ ist eine Partei, die – wie die meisten rechtsextremen Parteien in Europa – eine große Nähe zu Putin und seinem Regime hat bzw. lange Zeit hatte, aber aus angeblichen Neutralitätsgründen jede Hilfe an die von Putins Russland angegriffenen Ukraine verweigert. Nun sollten wir uns aber darüber einig sein, dass Putins Russland in der Ukraine einen Angriffs- und Vernichtungskrieg führt. Ich selbst stamme aus der ehemaligen Sowjetunion. Ich habe Kontakte zu Menschen in Russland, der Ukraine und habe mit Ukraine-Flüchtlingen über ihre Erlebnisse gesprochen. Ich weiß, dass die russischen Truppen in der Ukraine morden, foltern und vergewaltigen, dass sie Schulen verminen, Kinder verschleppen und die ukrainische Kultur bewusst zerstören. Wie können Sie in Zeiten wie diesen mit einer Partei koalieren, die diese Verbrechen indirekt verharmlost oder deren Durchführung zu erleichtern trachtet, indem sie sich z.B. gegen die Russland-Sanktionen ausspricht, den Auftritt des ukrainischen Präsidenten Selenskyj im österreichischen Parlament boykottiert und die Unterstützung der Ukraine sabotiert?
Der zweite Punkt, den ich hier anführen möchte, bezieht sich auf etwas, das heute angesichts des Krieges in der Ukraine, der steigenden Inflation, der Armut und der hohen Energiepreise oft vergessen wird, obwohl es vor kurzem noch unser primäres Problem war. Sie wissen sicher, was ich meine. Etwa 22.500 Menschen sind in Österreich an den Folgen von Covid19 gestorben. Das ist mehr als die gesamte Einwohnerzahl von Hallein. Noch mehr Menschen leiden an Long Covid oder haben bleibende Schäden davongetragen. Die psychischen und emotionalen Folgen, die Traumatisierungen, Angstneurosen und andere direkt und indirekt mit der Seuche verbundene Belastungen müsste man ebenfalls dazuzählen. Alles zusammengerechnet leidet ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung direkt oder indirekt an den Folgen der Corona-Pandemie. Dabei darf man aber nicht vergessen, wer sich in den entscheidenden Monaten des Jahres 2021 eindeutig auf die Seite der Impfgegnerinnen und -gegner, der Coronaleugnerinnen und -leugner und der mit ihnen demonstrierenden Rechtsradikalen und Neonazis gestellt hat. Es war die FPÖ. Das wissen Sie doch! Es war z.B. Herr Kickl, der auf den entsprechenden Demos Reden gehalten und gegen die Impfung gehetzt hat; es war die Frau Belakowitsch von der FPÖ, die auf einer dieser Demos behauptet hat, es lägen mehr Menschen mit Impfschäden als an Covid19-Erkrankte in den Krankenhäusern unseres Landes: Eine glatte Lüge, für die sie niemals zur Verantwortung gezogen worden ist. Indirekte Folge dieses „Engagements“ der FPÖ war, dass sich weniger Menschen gegen Covid impfen ließen, weil Herr Kickl und andere Funktionärinnen und Funktionäre der FPÖ mit schlechtem Beispiel vorangingen und dies ja auch nicht taten, und in Folge dessen auch mehr Menschen gestorben sind, dass Krankenhauspersonal beleidigt und bedroht wurde und sich eine generelle Wissenschaftsfeindlichkeit in unserer Gesellschaft breit gemacht hat, deren negativen Folgen wir wohl noch zu spüren bekommen werden.
Der dritte und abschließenden Punkt: Die FPÖ leugnet den menschengemachten Klimawandel und versucht Maßnahmen zu unterlaufen, die das Klima und somit auch die Zukunft unserer Kinder und Enkel schützen sollen.
Wollen Sie wirklich dieser wissenschaftsfeindlichen Partei zur Macht verhelfen? Einer Partei, die aus politischem Kalkül heraus durch ihre Corona-Politik den oft qualvollen Tod Tausender Menschen und das Leiden Abertausender mitverschuldet hat und heute die Zukunft unseres Planeten gefährdet?
Sehr geehrter Herr Haslauer, ich bitte Sie inständigst, die von Ihnen angestrebte Koalition mit der FPÖ zu überdenken. Gehen Sie mit dieser Partei keine Koalition ein! Verzichten Sie darauf, beweisen Sie Anstand und menschliche Größe. Sagen Sie „Nein“ zur FPÖ!
Hochachtungsvoll,
Vladimir Vertlib
P.S.: Ich erlaube mir, diesen Brief auch auf meine Homepage und Facebook-Seite zu stellen.
(c) Vladimir Vertlib